Erstes Kapitel
Fürstenreich Ruenhanòr, 1183 der Dannenland-Zeitrechnung
Eolée wälzte sich herum und stöhnte im Schlaf. Mit dem Hinterkopf stieß sie hart gegen den geschnitzten Bettpfosten und erwachte unsanft. Sie schlug die Augen auf und lauschte. Draußen prasselte der Regen.
Außerdem war da ein Wimmern und Kratzen vor dem Fenster.
Erschrocken drehte Eolée den schmerzenden Kopf, dann musste sie lachen. Sie stieg aus dem Bett, tappte auf nackten Füßen zum Fenster und öffnete die pergamentbespannten Fensterrahmen. Maunzend huschte ein triefnasser Schatten herein und schüttelte sich. Ein schmales Köpfchen schmiegte sich in Eolées Hand. Das Mädchen lächelte und streichelte das nasse Fell ihrer Katze. Sie sah aus dem Fenster und dachte über den unsinnigen Traum nach. Nichts darin ergab einen Sinn, obwohl sie sich an jede Einzelheit erschreckend klar und deutlich erinnern konnte.
Das Haus schlief, Eolées Bruder Eldred in seiner Kammer treppauf genauso wie ihre Eltern Farold und Eleoryn in der geräumigen Kammer zwischen der von Eolée und der Stube. Als sie lauschte, konnte das Mädchen das Schnarchen ihres Vaters bis durch die Tür hören und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ihre Mutter dabei auch nur ein Auge zutun konnte.
Sie sah aus dem Fenster. Ein voller Mond erhellte den Nachthimmel, gegen den sich die windgepeitschten, nassen Äste der Bäume tiefschwarz abzeichneten. Im Gormándran, dem elften Monat nach dem Sonnenkalender, waren sie schon kahl, obwohl noch kein Schnee gefallen war. Eolée kniff die Augen zusammen und versuchte, mehr zu erkennen. Da erschrak sie.
Dort draußen war etwas.
Eolée hielt den Atem an und spähte noch angestrengter in die Nacht. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Dort war eine kleine Gestalt, nun duckte sie sich hinter dem Brunnenkasten und sah sich hastig im Hof um.
Eolée trat vom Fenster zurück. Ihr Herz hämmerte. Ruhig, sagte sie sich, dann beugte sie sich vor und warf einen weiteren Blick in die Nacht. Am Brunnen war niemand mehr. Sie atmete auf.
Da hämmerte jemand mit beiden Fäusten gegen die Haustür.
Sie erstarrte. Was sollte sie tun? Als erstes schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, ihre Eltern zu wecken. Doch in dem Moment, in dem Eolée die Tür zum Flur aufriss, trat ihre Mutter auch schon aus der gegenüberliegenden Tür, weniger leise gefolgt von ihrem Ehemann, der sich schlaftrunken bemühte, die Augen offen zu halten.
„Hast du das auch gehört, Eolée?“, fragte Eleoryn leise.
Eolée nickte. „Ja“, flüsterte sie. „Da ist jemand draußen, ich hab’ ihn gesehen!“
Farold, plötzlich hellwach, wandte sich ohne ein Wort um, verschwand in der Stube und kehrte mit seinem Schwert in der Hand zurück.
Der Fremde draußen hämmerte wieder gegen die Tür und rief etwas.
Mit langen Schritten war Farold an der Tür, schob die Riegel zurück und öffnete. Er zuckte zurück.
Dort stand ein Junge.
Er war allein, rang um Atem und sah verzweifelt aus.
„Was hast du auf meinem Grund und Boden zu suchen?“, wollte Farold, dessen Besorgnis in Ärger über seinen gestörten Schlaf umschlug, unfreundlich wissen. Der Junge zuckte zusammen, als er das Schwert in der Hand seines Gegenübers sah. Gehetzt warf er einen Blick über seine Schulter, dann flüsterte er in eindringlichem Ton: „Ich versichere Euch, guter Mann, ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Ich werde unschuldig verfolgt! Ich schwöre!“
Farold blieb unbeeindruckt. Er hatte selbst einen Sohn und witterte einen dummen Streich. „Ich sehe keine Verfolger, Junge.“
„Ich kann Euch alles erklären, lasst mich nur in Euer Haus eintreten!“, flehte der junge Fremde.
Farold zögerte. Das schmale, fein geschnittene Gesicht des Jungen sah zerschunden aus, als habe es häufige Bekanntschaft mit Disteln und Stechginster gemacht. Seine Haare waren lang, schmutzig und wirr. Unter dem Dreck schienen sie kastanienfarben zu sein. Er war auf jeden Fall älter als Eldred, wohl eher in Eolées Alter, zwölf vielleicht oder dreizehn. An ihm war nichts Besonderes, geschweige denn Gefährliches. Nur zwei Dinge fielen auf, und die waren es, die Farold nachdenklich machten: Seine fremdartige, zerlumpte Kleidung und ein viel zu großes Schwert, das er so auf seinen Rücken gebunden hatte, dass das Heft der Waffe über seine linke Schulter herausragte.
Auch Eolée betrachtete den Jungen, der sie im Dunkel des Flures nicht bemerken konnte. Daran, dass er die Wahrheit sagte, zweifelte Eolée nicht. Die Angst in seinen Augen war echt.
„Lass ihn herein“, sagte sie, obwohl sie nicht gefragt worden war. Der Junge schrak wieder zusammen, als er die fremde Stimme hörte.
Farold warf seiner Tochter einen ungehaltenen Blick zu. „Er hat ein Schwert, Eolée“, erinnerte er sie.
„Er kann es dir doch geben.“
Eolées Vater musterte den Jungen noch ein letztes Mal. „Nun gut. Komm herein, aber gib mir diese Waffe.“
Zum ersten Mal seit sie ihn gesehen hatte huschte ein winziges Lächeln wie ein verirrter Sonnenstrahl über das Gesicht des Jungen. Hastig schnallte er die lederumwickelte Klinge von seinem Rücken, dann trat er über die Schwelle.
Sie führten ihn in die Stube. Eolées Mutter entzündete eine Lampe, doch der Junge bat sofort erschrocken darum, sie wieder zu löschen. Eolée zuckte die Schultern und schob die Blende vor das Licht. Durch kleine Löcher sickerte nun gerade noch so viel Helligkeit, dass sie einander erkennen konnten.
„So. Jetzt verlange ich endlich zu wissen, was du nachts vor meiner Haustür verloren hast.“ Länger wollte Farold sich nicht abwimmeln lassen.
„Mein Name ist Pellinor …“, begann der Junge stockend, doch plötzlich unterbrach ihn ein heftiges Pochen an der Haustür. „AUFMACHEN!“, rief jemand laut, „Öffnet auf der Stelle, wenn Euch Eure TÜR LIEB IST!“
„Das sind sie!“ Pellinor sah sich um wie ein in die Falle getapptes Tier. Eolée legte eine Hand auf seinen Arm und fühlte, dass er zitterte. „Keine Angst“, flüsterte sie beruhigend, „Hier kommt niemand rein.“
Wieder bearbeitete jemand mit roher Gewalt die Türbretter.
„Ihr bleibt hier.“ Farold stand auf. In der Stube wagten sie kaum zu atmen, als er zur Tür ging und sie öffnete.
„Was wollt Ihr denn hier zu dieser nachtschlafenden Stunde?“, hörten sie ihn mit schleppender Stimme fragen.
„Wir suchen jemanden, und HIER wurde er zuletzt gesehen!“, antwortete eine raue Stimme in einem Dialekt, der sich unbeholfen, ja derb anhörte. Pellinor sprach auf ähnliche Weise, ging Eolée auf, doch aus seinem Mund klang es weicher und fast wohlklingend.
„Ah, ich glaube, ich kann helfen! Ihr habt Glück, dass ich nicht schlafen konnte. Wie sahen denn Eure Gesuchten aus?“, fragte Farold.
„EINER, nur ein Gesuchter! Ein Bengel, zwölf Jahre alt!“
Eolée warf einen Blick zu Pellinor. Er hatte die Lippen zusammengepresst und starrte in Richtung Flur.
„Ja, ich habe tatsächlich etwas gesehen!“, frohlockte Farold, „Eine kleine Gestalt – sie huschte zur Stadt hinauf! Wenn ihr euch beeilt, werte Herren, könnt ihr sie noch einholen.“
Der Fremde vor der Tür murmelte etwas Unverständliches, dann entfernten sich schwere, hastige Stiefeltritte, begleitet von Waffenklirren. Endlich fiel die Tür wieder ins Schloss. Farold erschien im Türrahmen der Stube.
„Ich hoffe, das war es. Was für eine Nacht!“, sagte er und ließ sich auf die Bank vor dem Kamin fallen.
„Danke“, sagte Pellinor leise, „Ihr habt sie fürs Erste abgelenkt.“
„Waren das deine Verfolger?“, fragte Eolée.
Pellinor nickte, ohne sie anzusehen.
„Wie viele waren es denn? Und wie sahen sie aus?“, fragte Eleoryn ihren Mann. Der seufzte.
„Sechs Männer in grauen Waffenröcken, bis an die Zähne bewaffnet und ziemlich wütend.“
„Danke“, wiederholte der Junge mit gesenktem Kopf. „Ich … ich stehe in Eurer Schuld.“
„Keine Ursache, Pellinor“, sagte Farold mit einem plötzlich väterlichen Lächeln. „Es war mir gewissermaßen eine Freude.“ Er lachte leise auf. „Oben bei der Stadt wird man sich schon um sie kümmern. Es würde mich schon sehr wundern, wenn sechs Raufbolde gegen die Torwache bestehen könnten.“
„Mein Vater dient bei den Soldaten“, erklärte Eolée Pellinor.
Er nickte. „Du heißt Eoly, nicht wahr?“, fragte er.
Sie nickte. „Eolée.“ Sie wies auf ihren Vater. „Das ist mein Vater Farold, Kerthors Sohn.“ Dann nickte sie in Richtung ihrer Mutter. „Und das ist meine Mutter Eleoryn, Eogans Tochter.“
Sie sah, wie Pellinors Augen prüfend über ihr Gesicht und ihre Hände huschten. „Bist du … eine Elfe?“, platzte er heraus.
„Nein, eigentlich nur eine Halbelfe, zur anderen Hälfte ein Mensch“, sagte Eolée. „Meine Mutter stammt aus Istarien, wo die Elfenstämme leben. Mein Vater ist ein Mensch wie du.“
„Ah. Ich bin nie zuvor einer Elfe oder … Halbelfe begegnet“, sagte Pellinor entschuldigend und rubbelte sich mit dem Handrücken über die Nase, während er verstohlen in Eleoryns Richtung blickte.
„Du bist noch nicht fertig, Junge. Du wolltest uns erklären, wie du hierher gekommen bist“, erinnerte Farold ihn, doch seine Stimme war keineswegs mehr ärgerlich.
Pellinor nickte und starrte auf seine Fingerspitzen. „Wir kamen aus dem Naromínwald … nein, eigentlich aus Nituria, da bin ich geboren“, erzählte er stockend. „Aus diesem Land mussten wir fliehen. Sie verfolgen mich immer noch, denn ich habe etwas, das … der König besitzen will.“
„Wer sind wir?“, fragte Eleoryn vorsichtig.
Pellinor sah sie nicht an. „Waren“, sagte er leise, „wir waren … Meine Amme und ich.“
„Wo ist sie?“
„Sie ist … tot. Sie … gestern …“ Die Stimme versagte ihm. Seine Gesichtszüge wurden merkwürdig starr, als versuche er mit allen Mitteln, ein Schluchzen nicht hervor zu lassen. Seine Stimme klang mühsam beherrscht, als er hastig fortfuhr: „Es war erst gestern. Wir … die Soldaten … wir waren ihnen noch ein ganzes Stück voraus, da stürzte sie über eine Wurzel und fiel. Sie hat sich den Fuß schlimm verstaucht und konnte nicht mehr weiter. Ich wollte sie doch nicht im Stich lassen! Sie beschwor mich, allein weiter zu laufen … ich sollte nur dem Weg folgen … ich wollte sie aber nicht verlassen! Aber sie … sie nahm mir den Rucksack ab und … sie hat mir gesagt, dass sie nachkommen würde … und ich rannte weiter! Ich hatte Angst! Ich bin gelaufen, so schnell ich konnte. Als ich mich umwandte, waren die Soldaten an der Stelle! Ich habe es gehört, diesen Schrei, er gellt mir in den Ohren und will nicht weichen. Sie haben sie getötet!“
Plötzlich begann er zu weinen. Seine Schultern bebten, die Tränen liefen ihm übers schmutzige Gesicht und er schluchzte krampfhaft, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Eolée und ihre Eltern saßen neben ihm und wagten nicht, ihn anzurühren oder das Wort an ihn zu richten. Schließlich aber stand Farold auf. Er kniete sich neben Pellinor und wickelte das Leder von dem Schwert, das der Junge ihm gegeben hatte.
„Pellinor, woher hast du diese Waffe?“, fragte er leise, „Wie beim Licht der Sonne konntest du dieses Schwert tragen? Es ist doch viel zu schwer für dich, sieh doch, selbst ich kann es nur mit zwei Händen hochheben!“
Pellinor hob den Kopf und sah ihn verständnislos an.
„Es ist leicht“, sagte er mit dünner Stimme, „Ganz leicht. Ich kann es in einer Hand halten.“
Farold hielt ihm das Schwert hin. „Zeig es mir.“
Pellinor aber holte aus und schlug ihm die Waffe aus der Hand, dass sie klirrend auf den Boden fiel. Mit plötzlich wutverzerrtem Gesicht schrie er: „Nein! Ich will es nicht mehr anfassen, ich will es nicht mehr sehen! Schließt es weg! Wegen dieses Metallstückes ist Tenaeta gestorben! Wegen dieses Schwerts bin ich mein ganzes Leben lang vor meinen Häschern weggerannt! Niemals werde ich es tragen, das Blut meiner Amme klebt an seiner sauberen Klinge!“
„So schwere Worte von einem so jungen Menschen?“, fragte Eleoryn ungläubig und mitleidig zugleich.
„Das Alter spielt keine Rolle“, sagte Pellinor mit verschlossenem Gesicht. „Ich habe schon manches gesehen, was man lieber vergisst, und viel gehört, wovor man lieber beide Ohren zudrückt. Ich weiß, wovon ich spreche.“
Etwas lag in seiner Kinderstimme, was sie schaudern machte. Sie merkten, dass er es ernst meinte. Eolée griff nach dem Schwert und versuchte, es zu heben. Doch es war viel zu schwer für sie, so schwer, als drücke eine unsichtbare Hand es auf den Boden. Sie schaffte es nur, die Waffe ein wenig zu sich heran zu ziehen. Pellinor regte sich nicht, als sie zu ihm hochsah, also beugte sie sich darüber. Es war ein altes Schlachtschwert, lang und schlank. Der Griff war schön geformt und mit dünnem Silberdraht umwickelt. Muster bedeckten Knauf und Querbalken. Auf der Klinge, die von dem Sturz auf die Steinfliesen nicht eine Scharte davongetragen hatte, standen eng aneinander geschriebene Runen, die Eolée nicht entziffern konnte, neben einem runden Wappen. Bevor sie es sich aber näher besehen konnte, nahm ihr Vater das Schwert, wickelte den Lederstreifen wieder darum und legte es in die Truhe unter dem Fenster. „So. Dann bleibt es erst einmal hier drin.“
Pellinor sah dem Ganzen mit leeren Augen zu.
„Wo möchtest du nun hingehen, Pellinor?“, fragte Eolée ihn.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß eigentlich überhaupt nichts mehr“, sagte der Junge leise. „Wo bin ich überhaupt? Wie heißt die große Stadt, vor deren Toren ihr hier lebt?“
„Das hier ist das Haus der Familie Enedár vor den Toren der Stadt Arber im Land Ruenhanòr. Auch wenn alle Welt nur Hanòr sagt“, gab Eolée Auskunft, froh, etwas Nützliches sagen zu können. Neben diesem seltsamen Jungen, der so erwachsen reden konnte, kam sie sich entsetzlich klein und unwissend vor.
„Ruenhanòr …“, sagte Pellinor leise, als gefalle ihm der Klang des Wortes. „Tenaeta sprach oft von Hanòr. Sie meinte, dort könnten wir endlich in Frieden leben.“
„Kann er nicht hier bleiben?“, platzte Eolée heraus. „Er hat doch niemanden mehr!“
Farold und Eleoryn tauschten einen ratlosen Blick. Dann sagte Eolées Mutter: „Zwischen Tür und Angel werden wir das nicht entscheiden, Eolée. Doch zumindest für den Rest der Nacht ist es unsere Pflicht, ihm ein Dach über dem Kopf zu geben.“ Sie wandte sich an ihre Tochter. „Zeigst du ihm die Gästekammer?“
„Aber me-laén*! Er kann doch zu mir mit in die Kammer!“, ereiferte sich Eolée.
Eleoryn lachte. „Oh ja, das stelle ich mir lustig vor. Zwei Kinder in deinem kleinen Schlafraum, wo kaum Platz für einen Tisch ist. Wozu haben wir ein freies Zimmer? Nein, keine Widerworte, Eolée!“
Meine Kammer ist nicht eng, sondern gemütlich, dachte Eolée trotzig und sah auf den schmalen Rücken ihrer Mutter, die die Ofentür geöffnet hatte und eine Kupferschale mit glimmenden Kohlen füllte. Dann gab sie sie an Eolée weiter.
Farold gähnte hinter vorgehaltener Hand. „Wenn ihr nichts dagegen habt, lege ich mich jetzt wieder schlafen“, sagte er und wandte sich zur Tür. Eleoryn wünschte den Kindern eine gute Nacht und folgte ihm dann.
Pellinor stieg hinter dem Mädchen, das die warme Kohlenschale trug, die hölzerne Treppe ins obere Stockwerk des Hauses hinauf. Sie gelangten in einen Flur. Links befanden sich große, butzenscheibenverglaste Fenster, an der rechten Seite zweigten mehrere Türen ab. Die Wände waren mit schön gewebten Wandteppichen behängt, die die Kälte abhielten. Die Schritte der beiden knarrten auf den Fußbodenbrettern. Eolée öffnete die erste der Türen und ließ Pellinor eintreten, bevor sie selbst das Zimmer betrat „Da sind wir. Hier kannst du schlafen.“
Sie stellte die Kohlenschale, die für etwas Wärme sorgen solle, auf das Tischchen neben dem breiten Bett. „Morgen können wir dir ein Feuer im Kamin machen“, sagte sie mit Blick auf die leere Feuerstelle, die dem Bett gegenüberlag, wie es sich für ein Gästezimmer gehörte. Pellinor sah sich mit großen, erstaunten Augen um.
„Sind alle Menschen in Hanòr so reich?“, platzte er heraus und fuhr mit den Fingerspitzen über einen der geschnitzten Bettpfosten. Eolée brauchte einen Moment, bis sie begriff, was er meinte. Dann lachte sie.
„Nein. Mein Vater ist der erste Arl unseres Fürsten, der oberste Hauptmann der Soldaten also, und das ist ein sehr hohes Amt“, erklärte sie.
„Und warum wohnt ihr dann außerhalb der Stadt?“
Eolée grinste. „Warst du schon mal innerhalb der Mauern von Arber? Hier ist die Luft auf jeden Fall besser.“
„Ah.“ Pellinor strich mit der Hand über die Bettdecke, die aus weichem blauem Stoff genäht war. Eingewebte Muster wie Blätterranken schimmerten auf, wenn das schwache Glimmen der Kohlen darauf fiel.
„Die ist wunderschön. Sie fühlt sich an wie fließendes Wasser“, sagte er leise.
„Gefällt sie dir? Mir auch. Meine Mutter hat sie gewebt, als sie noch im Haus ihres Vaters lebte.“
„Ihr Vater muss ein besonderer Mann gewesen sein, dass er seinen Töchtern so etwas beibringen lassen konnte.“
„Ja“, sagte Eolée. „Aber ich möchte jetzt wieder in mein Bett. Nebenan schläft Eldred, mein kleiner Bruder. Also erschrick nicht, wenn du ihm morgen begegnest. Hier, sieh, wenn es dir zu kalt ist, kannst du die Vorhänge vorziehen.“ Sie zeigte auf die Bettvorhänge aus schwerem Stoff. „Gute Nacht“, wünschte sie dann.
Als sie wenig später wieder in ihr eigenes Bett gekuschelt lag, ahnte sie noch nicht, dass diese Begegnung in nicht allzu ferner Zukunft ihr geordnetes Leben von Grund auf durcheinander bringen sollte.